Hartmut Pfeuffer

Stationen einer Reise

(Text von Barbara Pfeuffer zum Katalog „Stationen einer Reise“, der anlässlich der Retrospektive in Wertingen im Oktober 2019 erschien.)

 
Reisen, neue Eindrücke gewinnen, unterwegs sein, war für Hartmut Pfeuffer lebensnotwendig. Daheim zu sein bedeutete für ihn, sich ganz seiner Arbeit zu widmen. Unter „Arbeit“ verstand er ausschließlich die künstlerische Auseinandersetzung, die für ihn oft hart und mühsam war. Gleichzeitig begeisterte sie ihn. Er hätte sonst kein solch umfangreiches Werk geschaffen.

Mit großem Pflichtbewusstsein und unglaublicher Energie ging er jeden Morgen, wenn immer es möglich war, in sein Atelier. Es folgte konzentriertes Malen, bis in die Nachmittagsstunden hinein. Kurze Unterbrechungen bildeten das Mittagessen und ein Gang durch den Garten, an dessen Ende das Atelier steht. Anfang und Ende der Arbeitszeit wurden vom Tageslicht bestimmt. Feinste Farbnuancen und Farbübergänge kann man nur bei ausreichendem natürlichem Licht unterscheiden. Künstliches Licht kam für ihn nicht in Frage. Probleme bereiteten ihm der Wechsel von Sonne und Wolken. Er liebte das gleichmäßige Licht des vom Hochnebel verschleierten Himmels, bei dem Lichtschwankungen kaum stören. An der Donau sind die nebligen Tage zum Glück recht häufig.
 
Leonardo da Vinci empfiehlt dem Künstler, in einem nach oben offenen Innenhof zu malen und ein transparentes Tuch über den gesamten Raum zu spannen. Der Effekt ist derselbe.
 
Abends, wenn er an seinen Zeichnungen arbeitete, behalf er sich mit künstlichem Licht. Beim Zeichnen ging es bei ihm ausschließlich um Helldunkel und nicht um Farbwerte. Meist arbeitete er unter der Lupe. Anders sind die feinen Schraffuren, die sich in dunklen Zonen immer mehr verdichten, nicht mehr wahrnehmbar. Wenn eine Radierung druckreif war (die Druckgrafik war sein drittes Betätigungsfeld), erfolgten weitere Arbeitsschritte in der Werkstatt im Keller. Das Wischen der Kupferplatte erfordert nicht nur sehr viel Erfahrung und Geschick, sondern auch Kraft.
 
Aus all dem ist leicht zu ersehen, dass ein solcher Arbeitstag nicht spurlos an ihm vorüber ging. Unterbrechungen waren notwendig, um die Arbeitskraft zu erhalten. Er brauchte hin und wieder Abstand zur häuslichen Umgebung, die ihn zur Arbeit verpflichtete,- so empfand er es. 
 
Schon während des Studiums an der Münchener Kunstakademie reiste er immer wieder in den Süden Europas, wo er zeichnete und fotografierte, aber auch sehr viel wanderte, auf Berge stieg, Museen, Kirchen und Klöster besichtigte. Zu seinen eindrucksvollsten Erlebnissen zählten die Besuche auf dem Berg Athos. Kleine Radierungen erinnern an diese Zeit zu Beginn der 70er Jahre.
 
Immer erfasste er mit Bleistift und Skizzenbuch, was er während der Reise wahrnahm, das heißt. was ihn von der Form und vom Licht her fesselte. Ausschlaggebend war das Licht. Das Motiv konnte völlig anspruchslos sein, ohne das Spiel von Licht und Schatten hätte es ihn nicht interessiert. Es mochte ein alter Schafstall sein, Heuballen, eine Felsspalte, das Geäst eines Baumes…
 
Das Licht war für den Künstler Hartmut Pfeuffer das Entscheidende. Doch Licht „darzustellen“, wie es wirklich ist – oder scheint – ist unmöglich. Kaum hat man einen Bereich erfasst, ist der Schatten weiter gewandert. Am liebsten möchte man das Gezeichnete wegradieren, lässt es aber doch stehen, es hatte ja soeben noch seine Berechtigung. Was bleibt, ist ein Kompromiss, nie das objektive Abbild der sichtbaren Realität. Den Lichtmoment zu erhaschen, war das erklärte Ziel von Claude Monet, das er nie erreichte, was ihn fast zur Verzweiflung trieb. Und dennoch wirken seine Bilder so, als hätte er ihn festgehalten. Farbtupfen deuten eine scheinbar bewegte Oberfläche an. Man sieht sich kräuselnde Wellen, ziehende Wolken…
 
Die flüchtige, impressionistische Handschrift hat sich Hartmut Pfeuffer nicht zu eigen gemacht. Dennoch geht es auch ihm um diesen einen Moment, in dem das Licht eine ganz eigene Wirkung hat, in dem das Laub eines Baumes einen Schatten auf eine Lehmmauer wirft, die sonst nichts Attraktives aufzuweisen hätte. Er gibt ihn so wieder, als wäre dieser Schatten immer dort. Der wunderbare Eindruck bleibt bestehen, als ob es keine Vergänglichkeit gäbe.
 
Auf unnachahmliche Weise fängt er das Licht ein. Das weiße Papier scheint davon getränkt zu sein. Es leuchtet durch die winzigen Zwischenräume hindurch, welche die feinen Schraffuren übrig lassen. Betrachtet man etwa eine von ihm gezeichnete Hauswand in einer Oase, spürt man die Wärme des Lehms. Man stellt sich in Gedanken in den wohltuenden Schatten, blinzelt ins Licht. Die Lichtquelle selbst ist nur ganz selten zu sehen. Wenn man einmal auf die Sonnenscheibe blickt, liegt sie hinter einem Dunstschleier, der ihr Licht dämpft, sanft erscheinen lässt. 
 
Und doch suchte er auf seinen Reisen das intensive Licht (er lehnte es zum Beispiel ab, eine Sonnenbrille zu tragen, welche die Lichtverhältnisse seiner Meinung nach zu stark verfälscht hätte). Wenn das Wetter umschlug, die Sonne sich hinter Wolken verbarg, Regen aufzog, führte das zu tiefer Niedergeschlagenheit. Ohne Licht lag für ihn die Landschaft in ödem Grau da, schattenlos und schlichtweg langweilig.
 
Als er Ende der 70er Jahre nach Höchstädt kam, erkundete er sofort zeichnend die Umgebung. Dörfer, Wiesen, die charakteristischen Kopfweiden gehörten zu seinen Motiven. Einige Landschaftsgemälde entstanden nach seinen Studien in der Natur. Die Farbe Grün fand hier noch Verwendung, später sucht man sie vergeblich. Gelb und Rot kommen schon damals nicht vor. Gleichzeitig inspirierten ihn Reisen nach Italien, Griechenland und Südfrankreich..
 
Sein Interesse am Vulkanismus brachte ihn auf die Idee, nach Lanzarote zu fliegen. Nun begannen die eigentlichen „Arbeitsreisen“, die unter Verzicht auf Bequemlichkeiten dazu dienten, bisher ungekannte Gegenden zu erkunden.
 
Das Erlebnis „Lanzarote“ schlug sich in zahlreichen Gemälden, Zeichnungen und Radierungen nieder. Wenig später besuchte er die Insel Malta. Dort nahmen ihn die wuchtigen steinzeitlichen Tempel gefangen. Wie er seine Eindrücke in Schwarzweiß und in Farbe wiedergibt, weist schon auf die weitere Entwicklung hin zu monumentalen, erhaben wirkenden Landschaften hin.
 
Anlass für eine Reise nach Nordafrika war ein Zeitungsfoto, das die algerische Oase Kersas vor einer riesigen Düne zeigte. Nach dem zweiwöchigen Aufenthalt in der Oase El Oued, den er ganz allein bestritt, hatte er sein Thema für die nächsten drei Jahrzehnte gefunden. Fast jedes Jahr brachte er von nun an einige Zeit in abgelegenen Regionen der Sahara zu. Strapaziöse Fahrten über unbefestigte Pisten, Übernachtungen unter freiem Himmel inmitten der Wüste, bescheidene Verpflegung durch die Tuareg, unter deren Leitung die kleinen Expeditionen durchgeführt wurden, – all das nahm er immer wieder auf sich, um die Schönheit der unberührten, gewaltigen, ja majestätischen Natur zu erleben. Oft bestieg er in der Morgendämmerung eine hohe Düne, um das Schauspiel des Sonnenaufgangs nach eiskalter Nacht zu erleben. Oben auf dem Dünenkamm war es meist so stürmisch, dass er sein Skizzenbuch kaum halten konnte.
 
Tagsüber wurden häufig anstrengende Wanderungen unternommen oder man legte einige Kilometer in Jeeps zurück, die immer wieder repariert werden mussten. Wenn endlich das Nachtlager aufgeschlagen wurde, begann seine eigentliche Arbeitszeit. Die Sonne stand tief, die Landschaftsformen traten plastisch hervor, – nun musste er so viel wie möglich zeichnen und fotografieren. Manchmal war er noch so lange unterwegs, dass die Dunkelheit hereinbrach und er das Lager kaum wiederfand. 
 
Glücklich war er, wenn ein längerer Aufenthalt an einem Ort eingeplant war. Dann konnte er in Ruhe arbeiten, oder auch einmal einfach nur den Anblick einer großartigen Gegend genießen. Unter seinen Skizzen stehen Notizen wie: „Tolles Motiv!“, „unbedingt malen“ und Ähnliches. In Gedanken war er schon bei der bildnerischen Umsetzung im Atelier.
 
Wenn er heim kam, war er immer begeistert von all dem Erlebten. Ein paar Tage brauchte er, bis er sich wieder „akklimatisiert“ hatte. Nach dem Sichten und Auswerten von Skizzen und Fotos ging es an die große Leinwand, die er schon vor der Reise aufgespannt und grundiert hatte. Mit einem etwas breiteren Pinsel legte er die Komposition in groben Zügen an. Zunächst nahm er neutrale, stark verdünnte Farbtöne, welche die weiße Leinwand bald vollständig bedeckten. In dieser Phase war er voller Elan, es ging voran. Dann folgen Monate der harten Auseinandersetzung mit der Komposition. Oft war er deprimiert. Erholung fand er in seinem Garten, der im Sommer über und über blüht und so das genaue Gegenteil von seinem Saharamotiv darstellt. Das Wort „Sahara“ soll übrigens übersetzt „Garten Allahs“ heißen.
 
Im Verlauf von 30 Jahren war er in der ägyptischen und der libyschen Wüste, im Tschad, im Niger, in Mali und immer wieder in Algerien. Später war er auch wiederholt in Marokko, ein Land, das leichter zu erreichen ist. Die „Straße der Kasbahs“ ort zog ihn die Lehmarchitektur besonders an. Eine ganze Werkreihe ist der „Straße der Kasbahs“ gewidmet.
 
Dass er all diese Reisen wohlbehalten überstand, ist nicht selbstverständlich. Immer wieder berichtete er von Überfällen, die in der Nähe seiner Reisegruppe stattgefunden hatten. Inzwischen haben islamistischer Terrorismus und verschiedene Aufstände die meisten Regionen der Sahara zu Gefahrenzonen werden lassen. Der bescheidene Tourismus, von dem viele Tuareg lebten, ist zusammengebrochen. Zahlreiche Orte, die Hartmut Pfeuffer zeichnete, sind zerstört.
 
In einige Zonen der algerischen Sahara, die militärisch geschützt sind, darf man heute wieder reisen. 2016 war er zuletzt in Südalgerien. Er hatte den großen Wunsch, noch ein einziges Mal die Sahara zu erleben und dort die Stille zu finden, die er im „normalen“ Leben vermisste, die besondere „hörbare“ Stille, die seine Bilder atmen.
 
Bei C. D. Friedrich steht mitunter eine Rückenfigur vor der Landschaft, mit deren Augen wir in die Ferne schauen, mit der wir uns identifizieren können. In Hartmut Pfeuffers Bildern fehlt der Mensch. Vor seinen großen, monumentalen Landschaften stehen wir gleichsam schutzlos da und werden fast in den tiefen Raum hinein gezogen. Wir blicken in die Ferne. Irgendwo ganz weit weg gehen die Blautöne der Hügel in das Blau des Himmels über. Und dann kommt es uns so vor, als könnten wir weiter schauen, als das Auge reicht.
 
Ludwig Uhland, der Dichter der Romantik, hat von der „Ahnung des Unendlichen in der Anschauung“ gesprochen. Vor Hartmut Pfeuffers Bildern kann man spüren, was damit gemeint ist.